Berlin

Über die Sinnlichkeit des Natursteins oder warum man sich plötzlich ein Haus voller Bäder wünscht

Ich möchte ein Haus bauen. Das heißt, ich würde gern ein Haus bauen. Wahrscheinlich werde ich nie ein Haus bauen, aber seit kurzem weiß ich, wie schön es sein kann, sich ein Haus zu erträumen.

Hier ist nicht die Rede vom Nestbautrieb, der jeder Frau, wenn sie Mutter ist, nachgesagt wird, und der mir selbst auch nicht unbekannt ist. Es geht auch nicht um diesen "Sohn zeugen, Baum pflanzen, Haus bauen" - Kitsch, der einen Mann angeblich erst zum Mann macht.

An meinem Traum vom Haus ist eine Frau schuld. Sie heißt Annalisa Bruno, und sie verkauft Steine. Steine, die so schön sind, dass sie diesen kalten Namen nicht tragen sollten.
Es sind warme Steine. Kalkstein, Sandstein, Travertin, Marmor.

Die meisten kommen, wie Annalisa Bruno, aus Italien. Dort werden sie seit Jahrtausenden aus der Erde geholt. Schon die Etrusker und später die Römer haben sie behauen und geschliffen, in Mosaiken und Intarsien verarbeitet, und sich aus ihnen, zum Beispiel, die herrlichsten Bäder gebaut.

Als ich das Geschäft, in dem Annalisa Bruno ihre Steine verkauft, zum ersten Mal betrat, glaubte ich noch, dass einem Badezimmer weiße Fliesen, eingefasst und optisch aufgepeppt durch eine so genannte Zierbordüre, doch eigentlich am allerbesten zu Gesicht stünden. Das ist zeitlos und praktisch und, vor allem, pflegeleicht. Die meisten Leute besuchen "marmo e terracotta", so heißt Frau Brunos Geschäft in der Kantstraße in Charlottenburg, weil sie auf der Suche nach etwas Schönem sind. Gleich gegenüber liegt das Stilwerk, das Möbelgeschäft für Berliner ohne Geldsorgen.

Wenn sie das kleine Geschäft betreten, passiert folgendes: Der Blick fällt auf die schweren Schiebetafeln, das Gespräch verstummt. Die Tafeln werden hin und her geschoben und befühlt, immer wieder angefasst und gestreichelt. Frau Bruno lässt ihre Kunden erst mal eine Weile schwelgen in Grey Foussana, Travertino becagli, Granada beige und wie sie sonst alle heißen. Dann greift sie ein und bringt Struktur in das Gefühlsgemisch aus Überraschung und Unsicherheit.

Und plötzlich ist sie da, diese Lust, sich ein Haus zu bauen: Ich will ein Bad aus Glasmosaik und eine Badewanne aus braunrotgeflammtem Rosso etrusco. Das Licht verbirgt sich hinter einem Band aus Alabaster und ist ganz weich. Es wirft keine Schatten. Ich will ein zweites Bad aus Travertino dorato. Ich will ein Waschbecken aus massivem Travertino noce, das kantig aus der Wand steht wie der Berg, aus dem es gehauen wurde. Und ein weiteres aus honigfarbenem Onyx, in dem die Hände auch ohne Seife sauber zu werden scheinen. Das Wohnzimmer wird gepflastert mit handgefertigtem, kalibriertem Terrakotta, die Wände verkleidet mit dem Intarsienbild "Cosmati", das schon 200 nach Christi vollendet schön war. Mein Haus soll Antike, Klassik und Moderne vereinen, verbinden, versöhnen. Das Haus ist alles: eine Oase für die büromüden Augen, ein Refugium für Fernseh- und Leseabende, ein warmes Nest für meine Kinder.

Nach einem Ausflug zu "marmo e terracotta" weiß ich immer, dass mir dieser ganz große Wurf gelingen kann, obwohl ich eigentlich Volkswirtschaft studiert habe und vom Bauen und von Ästhetik und erst recht von Badezimmeroberflächen überhaupt keine Ahnung habe. Wer einmal die Patriziersauna von Pompeji oder die römischen Caracalla-Thermen besucht hat, weiß, dass Italiener ein anderes Verhältnis zum Badezimmer haben, als wir Deutschen. Als Frau Bruno vor 20 Jahren nach Deutschland kam, hat sie schnell gemerkt, dass hier einerseits viel Geld ist und große Lust es auszugeben. Auf der anderen Seite aber eine gewisse Unsicherheit in Geschmacksfragen und eine große Bereitschaft Geschmack, vor allem italienischen Geschmack, zu kaufen. Daraus hat sie ihre Geschäftsidee gemacht. "Das erste, was ich meinen Kunden immer wieder austreiben muss, ist die deutsche Vorstellung vom Badezimmer-Luxus." Das Maklerwort "Marmorbad" löst bei Frau Bruno eine Gänsehaut aus. "Das deutsche Luxusbad ist noch immer aus hochglanzpoliertem Carrara-Marmor. Empfindlich und unnahbar", sagt sie. Und mir fällt sofort das Badezimmer ein, das meine Tante sich vor Jahren unter der Bewunderung der ganzen Familie geleistet hat. Bei Frau Bruno ist nichts poliert. "Glanz ist der Tod des Marmors. Marmor sollte nie, niemals glänzen", sagt sie. Und hinter diesem Satz hält die 41-Jährige so etwas wie eine Philosophie versteckt, Steinphilosophie: "Ein Stein", sagt Frau Bruno, "ist alt." Alt, das heißt matt, gelegentlich auch rau. Wer nun diesen alten Stein aufpoliert, der versteckt sein Alter und seine, nun ja, Würde. Bei Frau Bruno darf und muss der Stein alt aussehen. Dies hinzukriegen, ist hohe Kunst, die nur noch wenige venezianische und veronesische Handwerker verstehen, die jede einzelne der Quadratmeter großen Platten in Handarbeit behandeln. "Tägliche Benutzung lässt solche Steine noch älter, noch schöner aussehen. Das unterscheidet sie vom Hochglanzmarmor." Vielleicht hat man, wenn man, wie Annalisa Bruno, in Apulien aufgewachsen ist, ein angeborenes Verhältnis zu alten Steinen, zu Ruinen und zu elegant und würdevoll verrottenden Renaissance-Palästen. Die Deutschen haben es nicht, aber sie sind dankbar für den Rat und für die Steine, die die Italienerin ihnen verkauft. Na ja, nicht "den" Deutschen. Die meisten werden, wie wahrscheinlich auch ich, sollte ich mir wirklich eines Tages ein Reihenhaus in Marienfelde leisten können, auch weiterhin ihre weißen Fliesen im Baumarkt kaufen und selbst verlegen, denn Rat und Material aus der Kantstraße 149 haben ihren Preis. Indes ist Frau Bruno sich ziemlich sicher, dass es kaum einen Käufer einer Millionenvilla in Berlin und Umgebung, der nicht schon in ihrem Geschäft vorgesprochen hat. "Leute, die keine Lust auf Kompromisse haben, sind meine Kunden", sagt Frau Bruno, und mir schwant: Selbst wenn es mir gelänge, bei ihr einen Journalistenrabatt rauszuhandeln - ich habe das Gefühl, dass ich mein Traumhaus aus handgefertigten italienischen Natursteinen einfach nicht bezahlen kann.

Marmo e Terracotta
Kantstraße 149, 10623 Berlin
Tel. +49 30 215 48 67
Fax +49 30 216 26 66

(Berliner Morgenpost 10|2006)

Zurück